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DRESDEN Die schönste Frau der Welt In der Dresdener Gemäldegalerie/den staatlichen Kunstsammlungen, wird ab dem 25. Mai 2012 das 500.ste Geburtsjahr der Sixtinischen Madonna gefeiert. Es ist das Jahr, in dem Raffaelo Santi das Gemälde malte, auf dem sie erscheint. Raffael malte es für den Hauptaltar der Klosterkirche San Sisto in Piacenza. Dort gehörte es für gut 300 Jahre zum Gottesdienst. 1754 wurde es vom Abate Giovanni Battista Bianco für 20 000 Dukaten nach Dresden verkauft und in die Gemäldegalerie aufgenommen. Aus einem Altarbild wurde ein Museumsbild wurde – durch den fast zwei Jahrhunderte währenden Pilgerstrom – wieder zu einem (säkularen) Heiligenbild. Madonna. Maria mit dem göttlichen Kind. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind. Schönheit auf Erden. Schützenswert. Wie viele Menschen werden sich im Laufe dieser Geburtsjahr-Feier zur Sixtinischen Madonna auf den Weg machen? Nach dem Sieg der Sowjetunion über den deutschen Faschismus wurden durch die Rote Armee Gemälde aus Dresdner Museen nach Moskau gebracht und dort 10 Jahre unter Verschluß gehalten. Der Beschluß der sowjetischen Regierung, die Gemälde der Deutschen Demokratischen Republik zurückzugeben, enthielt auch die Anweisung, alle diese Gemälde vor der Rückgabe für 90 Tage in Moskau auszustellen. Am 30. Mai 1955 mußte die Polizei die Bewegung einer großen Menschenmenge leiten. Viele Menschen waren schon an diesem Tag gekommen, die Gemälde anzuschauen. Unter ihnen befand sich Wassili Grossmann. Wassili Grossmann, der sowjetische Kriegsberichterstatter und Schriftsteller, der auf dem Landweg bis zum Mai 1945 über Stalingrad, Kursk, Majdanek, Treblinka nach Berlin kam, hat seine Gedanken in seiner Erzählung „Die Sixtinische Madonna“ aufbewahrt. Die letzten Worte darin lauten: „Wir stehen vor ihr, Menschen, die in Russland leben, junge und grauhaarige. Wir stehen vor ihr in einer beunruhigenden Zeit. Die Wunden sind noch nicht verheilt, die Brandstätten heben sich noch schwarz ab, die Hügel über den Massengräbern von Millionen Soldaten, unseren Söhnen und Brüdern, haben sich noch nicht gesetzt. Es stehen noch die versengten toten Pappeln und Süßkirschenbäume über den bei lebendigem Leibe verbrannten Dörfern, schwermütig wächst Unkraut über den in Partisanensiedlungen verbrannten Körpern der alten Männer, Mütter, Jungen und Mädchen. Über Gruben, in denen die Leiber der ermordeten jüdischen Kinder und ihrer Mütter liegen, sackt die Erde noch, bewegt sich noch. Das nächtliche Weinen der Witwen in den unzähligen russischen Bauernhäusern ist noch nicht verklungen. Alles hat die Madonna zusammen mit uns durchgemacht, denn sie – das sind wir; denn ihr Sohn – das sind wir. Es war schrecklich, schmählich, schmerzhaft – warum war das Leben so furchtbar, waren du und ich womöglich schuld daran? Warum sind wir am Leben? Eine furchtbare, schwere Frage, die den Lebenden nur die Toten stellen können. Aber die Toten schweigen, stellen keine Fragen. Die Nachkriegsstille aber wird von Zeit zu Zeit durch das Donnern von Explosionen durchbrochen, und radioaktiver Nebel breitet sich am Himmel aus. Die Erde, auf der wir leben, hat gebebt – die thermonukleare Waffe tritt an die Stelle der Atomwaffe. Bald verabschieden wir die Sixtinische Madonna. Sie hat mit uns zusammen unser Leben gelebt. Richtet uns – alle Menschen einschließlich der Madonna und ihres Sohns. Wir scheiden bald aus dem Leben, unsere Häupter sind schon weiß. Sie aber, die junge Mutter, die ihren Sohn auf dem Arm trägt, tritt ihrem Schicksal entgegen und sieht mit einer neuen Generation von Menschen ein gleißendes, blendendes Licht am Himmel – die erste Explosion der überaus gewaltigen Wasserstoffbombe, die vom Beginn eines neuen, weltumspannenden Krieges kündet. Was können wir, die Menschen aus der Epoche des Faschismus, vor dem Gericht der Vergangenheit und Zukunft sagen? Es gibt für uns keine Rechtfertigung. Wir sagen, daß keine Zeit schwerer als die unsere gewesen ist, aber wir haben das Menschliche im Menschen nicht sterben lassen. Wir sehen der Sixtinischen Madonna hinterher und bewahren den Glauben, daß Leben und Freiheit eins sind, daß es nicht Größeres gibt als das Menschliche im Menschen. Möge es ewig leben, siegen.“ In Berlin gibt es auch eine “Sixtinische Madonna“. Sie ist im Jahr 2000 in einer Collage entstanden, der Text von Wassili Grossmann begleitet sie seit 2010. Der Jesusknabe auf dem Arm Mariens ist zur endgültig geschundenen Kreatur geworden. So wie Jesus, der Legende nach, von Menschenhand an ein zum Kreuz gezimmerten Baum, einst eines der wichtigsten Symbole des Lebens, genagelt wurde und dort verendete, wurde dieses Kind, genetisch geschädigt durch seine von menschlichem Geist ersonnene Uran- Munition geschädigten Eltern, tot geboren. Diesmal scheint es, als sage die Madonna: „Komm und sieh …“. „Ecce homo“. Berlin, den 24. Mai 2012, Ana Barbara von Keitz zum Vergrössern anklicken |